Aufgrund der großen Fortschritte in der Analytik und der umfangreichen Verbesserungen der experimentellen Möglichkeiten hat sich die Kenntnis der zentralen Stoffwechselvorgänge in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts enorm erweitert. In den Pflanzenwissenschaften betrafen diese Fortschritte vor allem die Photosynthese; doch auch das Wissen über viele andere Stoffwechselwege erweiterte sich enorm. Als Konsequenz dieses Aufschwungs betrachteten früher viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Grundlagenforschung ausschließlich derartig ausgerichtete Forschungsansätze als erstrebenswert und respektabel. Entsprechend wurden in dieser Zeit die wissenschaftlichen Arbeiten der Forschenden, aus den mehr angewandten Disziplinen der Pflanzenbiologie, als nicht so relevant eingestuft; obgleich deren Studien viele neue und wichtige Erkenntnisse für Land- und Forstwirtschaft sowie für die Lebensmittelproduktion lieferten.
Abspaltung der angewandten Wissenschaft von der DBG
Als Folge dieser Entwicklung fühlten sich viele dieser Pflanzenwissenschaftler nicht mehr ausreichend durch Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG) vertreten, die im Jahre 1882 als Interessenvertretung aller Botanikerinnen und Botaniker gegründet wurde. Diese Unzufriedenheit führte zwangsläufig zur Spaltung der wissenschaftlichen Gemeinde und letztendlich 1902 zur Gründung der Vereinigung für Angewandte Botanik (VAB). In dieser neuen Gesellschaft waren nun die wichtigsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertreten, deren Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Pflanzenschutz, Land- und Forstwirtschaft, Nachernte-Technologie und pflanzliche Lebensmittelproduktion lagen.
Gründung der Zeitschrift und heutiger Status
Zur Verbesserung der wissenschaftlichen Kommunikation führte man 1919 mit der Zeitschrift für Angewandte Botanik das offizielles Organ der VAB ein – eine Zeitschrift, die in diesem Segment permanent an Bedeutung gewann. Um die darin publizierten Veröffentlichungen auch der nicht-deutschsprechenden Community zugänglich zu machen, wurde die Zeitschrift neu aufgestellt. Die englisch-sprachige Zeitschrift hieß nun Journal of Applied Botany und war ein wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Kommunikation in der Angewandten Botanik. Aufgrund zahlreicher Überlappungen der Forschungsfelder mit Kolleginnen und Kollegen aus der Deutschen Gesellschaft für Qualitätsforschung wurde im Jahre 2004 die Zeitschrift um den Bereich Lebensmittelqualität erweitert. Das neue Journal of Applied Botany and Food Quality repräsentiert heute die gemeinsame Zeitschrift beider Gesellschaften und ist inzwischen ein gut etabliertes und erfolgreiches online-only und Open Access journal.
Paradigmenwechsel zu einer immer interdisziplinären Wissenschaft
Heutzutage werden Forschungsarbeiten, die Angewandte und Grundlagen-Forschung vereinen, nicht mehr verächtlich betrachtet oder gar stigmatisiert, sondern - ganz im Gegenteil - sie sind allgemein akzeptiert; die einst vorhandenen dogmatischen Gräben sind verschwunden. Aufgrund der faszinierenden Möglichkeiten der modernen molekularen Werkzeuge ist die Kombination von Angewandter und Grundlagen-Forschung omnipräsent, und die Grenzen der Disziplinen verschwimmen mehr und mehr.
Darüber hinaus erfordern die gesteigerte Einbindung der Universitäten in die Gesellschaft und ein erhöhtes öffentliches Interesse an der universitären Forschung geradezu eine derartige Kombination. Dieser Paradigmenwechsel spiegelt sich auch in den Veränderungen der universitären Lehre wieder: anstelle der traditionellen akademischen Bildung in Sinne des Humboldtschen Bildungsideals sind Bachelor- und Master-Studiengänge getreten, d.h., die akademische Bildung wurde durch eine entsprechende Berufsausbildung komplettiert bzw. ersetzt. Dies erfordert allerdings eine Integration von angewandten, berufsorientierten Themen, so dass − unabhängig von den wissenschaftlichen Überlegungen − heute in fast allen Bereichen der Pflanzenbiologie auch angewandte Forschungsthemen bearbeitet werden.
Integration der VAB und Gründung der Sektion für Angewandte Botanik der DBG
Entsprechend dieser Entwicklung hat sich in den letzten Dekaden die Wahrnehmung der Angewandten Botanik drastisch verändert und die ehemaligen starren Grenzen zwischen Angewandter- und Grundlagen-Forschung sind verschwunden. So war es naheliegend, die Vereinigung für Angewandte Botanik als eigenständige wissenschaftliche Gesellschaft aufzulösen und als Sektion für Angewandte Botanik in die Deutsche Botanische Gesellschaft zu integrieren – ein Schritt der 2015 vollzogen wurde.
Eine ausführliche Darstellung der Thematik mit einigen anschaulichen Beispielen wird in der nächsten Ausgabe des Journal of Applied Botany and Food Quality erscheinen, die im Sommer 2019 erscheinen wird.
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Dirk Selmar (Institut für Pflanzenbiologie, TU Braunschweig), im Juni 2019